Handarbeit
Warum unterrichten wir Handarbeiten an unserer Schule?
An unserer Schule haben alle Schülerinnen und Schüler acht Jahre lang zwei Stunden Handarbeit pro Woche. In der neunten und zehnten Klasse gibt es eine Pflicht- und eine freie Nachmittagsepoche Schneidern bzw. Modedesign. Das Fach nimmt, verglichen mit staatlichen Schulen, einen großen Raum ein. Warum hat R. Steiner das vorgeschlagen und was nützt das Ihren Kindern? Ist es nicht veraltet, Mädchen und Jungen häkeln und Strümpfe stricken zu lassen?
Folgende Überlegungen legte Rudolf Steiner dabei zugrunde:
Wie in vielen anderen Fächern vollziehen die Kinder im Fach Handarbeit quasi die Kulturgeschichte der Menschheit in Bezug auf die textilen Handwerke nach. Sie erlernen alle textilen Techniken kennen und praktizieren, mit denen sich die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte gewärmt, gekleidet und geschmückt hat. Diese potentielle Autonomie verleiht Stärke und Selbstbewusstsein für das spätere Leben, da die Kinder alles schon einmal selbst angefertigt haben. In der 8. Klasse kommen sie dann sozusagen in der Gegenwart an, das Schneidern mit der elektrischen Nähmaschine entspricht den Ansprüchen des industriellen Zeitalters.
Die Handarbeitsstunden sind ebenso wie einige anderer Fächer ein wichtiges Element bei der Gestaltung eines gedeihlichen Schulvormittags. Nach dem Hauptunterricht, einer Englisch- oder Französischstunde, in denen die Denk- und Lernkräfte aktiviert werden, ermöglichen diese praktischen Fächer ein Lernen durch Tätigsein, das die Willens- und Gestaltungskräfte der Kinder aktiviert. Das ermöglicht es ihnen gestärkt und erfrischt, nicht erschöpft durch den Vormittag zu kommen.
Rudolf Steiner hielt es für sehr wichtig, dass alle Kinder stricken und häkeln lernen. Er wusste, was die moderne Neurophysiologie inzwischen bestätigt hat, dass sich das Erlernen so hoch komplizierter feinmotorischer Fähigkeiten nachweislich positiv auf die Entwicklung des Denkvermögens auswirkt. Insbesondere die gleich schwierige, aber nicht gleich artige Verteilung der Aktivitäten auf beide Hände beim Stricken und Häkeln sowie die erforderliche genaue Koordination beider Hände bauen wesentliche Verbindungen im Gehirn auf. Für Kinder mit feinmotorischen Schwächen, Koordinationsproblemen und unklarer Rechts-Linkshändigkeit hat der Handarbeitsunterricht therapeutische Auswirkungen. Und für alle Kinder könnte man sagen: Strümpfe stricken fördert das logische Denk- und Kombinationsvermögen.
Vor allem aber dient die Handarbeit wie alle unsere pädagogischen Bestrebungen als Inkarnationshilfe, d. h. sie hilft den Kindern, auf der Erde und im Leben ihren eigenen Platz zu finden. Sie durchleben in der Handarbeit produktiven Prozesse, die sie durch viele Bereiche der Selbsterfahrung schicken. Zunächst ist da nur eine Vorstellung, z. B. von einer aus wunderbaren Farben hergestellten gut sitzenden und wärmenden Mütze (3. Klasse). Nun müssen die Kinder durch eine lange Zeit harter Arbeit gehen, nämlich rechte und linke Maschen stricken lernen und Tausende von Maschen stricken, ein zunächst mühsamer, dann immer selbstverständlicher werdender Vorgang. Sie erleben, wie die Arbeit über Wochen und Monate voranschreitet. Die Aufmerksamkeit wird geschult, weil Fehler rasch korrigiert werden müssen, sonst zerfällt das Gestrickte. Sie erleben das Aufeinandertreffen und Harmonieren selbst erwählter verschiedener Farbtöne. So erleben sie also, wie der Mensch aus eigener Kraft durch ein Tal von Anstrengungen und Rückschlägen zur Verwirklichung einer Idee kommt, - die Idee wird sozusagen vom Himmel auf die Erde geholt: sichtbar, schön und nützlich. Sie haben dadurch Freud (und Leid) eines jeden kreativen und produktiven Prozesses, durch den allein sich die Menschheit weiterentwickeln kann, durchlebt und erkannt, dass sie selbst ein individueller, produktiver Teil derselben sind. Die individuelle, völlig leistungsdifferenzierte Unterrichtsmethode ermöglicht dabei jedem Kind eine optimale Entwicklung.
Im folgenden Überblick über den Lehrplan der Handarbeit finden Sie, in welcher Klasse die Kinder nun welche Technik erlernen und was sie damit jeweils herstellen. Rudolf Steiner hat dies so genau mit den Erfordernissen des jeweiligen Lebensalters der Kinder abgestimmt, dass es gerade auch heutzutage immer wieder eine verblüffend positive Wirkung hat.